Abstract: Cléo V. Altenhofen
Diareligiöse Variation der deutschen Sprache bei den Hunsrückern in Brasilien
Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der diareligiösen Variation der deutschen Sprache bei der zahlenmäßig repräsentativsten Einwanderergruppe der Hunsrücker in Brasilien. Gemeint ist damit allgemein die Sprache und das Sprachverhalten von Katholiken und Evangelischen. Es wird in der Literatur mehrfach behauptet, dass circa 60% der deutschen Einwanderer in Brasilien einer protestantischen Richtung angehörten (Dreher 2002: 124). Dabei wird häufig die These vertreten, dass diese Gruppen im Vergleich zu den katholischen Einwanderern stärker an der Herkunftssprache festhielten (Willems 1940: 206). Als Begründung dazu gilt meistens die Tatsache, dass Brasilien im 19. Jh. ein „offiziell“ katholisches Land war, so dass evangelische Einwanderer wesentlich mehr Schwierigkeiten hatten als die Katholiken, sich in die neue Umwelt zu integrieren. Sie waren prinzipiell (obwohl nicht ausschließend) auch stärker auf die religiöse Unterstützung aus Deutschland und auf die Sprache Luthers angewiesen. In diesem Zusammenhang wird deshalb zusätzlich eine zweite These aufgestellt, dass evangelische Sprecher heute sich häufiger einer standardnäheren Varietät des Deutschen bedienen, als es die katholischen tun, obwohl in beiden Gruppen die „hochdeutsche Schriftsprache“ mehr oder weniger als omnipräsente Varietät vorkommt.
Der vorliegende Beitrag geht besonders dieser letzten These auf die Spur und versucht, anhand systematisch erhobener Daten des Projekts ALMA-H (Atlas Linguístico-Contatual das Minorias Alemãs na Bacia do Prata: Hunsrückisch) Makrotendenzen in der Variation des Deutschen innerhalb dieser Einwanderergruppe zu erkennen, die potentiell eine Korrelation mit der diareligiösen Dimension aufzeigen, d.h., auf eine Entwicklung in Richtung einer höheren Dialektalität oder umgekehrt stärkeren Standardnähe hindeuten. Mit Hilfe der Prinzipien und Methoden der pluridimensionalen und relationalen Dialektologie (Thun 1998; Altenhofen 2016) wurden in 41 Ortspunkten jeweils bis zu vier Interviews durchgeführt, nämlich (soweit vorhanden) mit Sprechern der jüngeren und älteren Generation (GI = 18 bis 36; GII = über 55) mit höherer und niedrigerer Schulbildung (Ca und Cb). Die Analyse der diareligiösen Dimension erfolgt dabei durch den Vergleich der Daten aus drei Arten von Ortspunkten, nämlich rein katholischer (16), protestantisch-lutherischer (7) oder konfessionel gemischter (15) Interviewgruppen. Mittels der pluridimensionalen Kartographie werden neben der diatopischen Variation auch diastratische oder diagenerationelle Tendenzen erfasst.
Im Vortrag werden Sprachkarten des ALMA-H präsentiert und interpretativ mit der Variable <Religion> korreliert. Dabei wird auf eine Reihe von anderen Variablen hingewiesen, die zur Interpretation der Daten mit berücksichtigt werden müssen. Dazu zählen sowohl historische Aspekte als auch diatopische und soziale Konfigurationen hinsichtlich der Herkunft und Isolation, sowie auch der Homogenität bzw. Heterogenität der Siedlungsgebiete. Von zentraler Bedeutung für die Sprachförderung ist außerdem der Zusammenhang zwischen Kirche, Schule und Presse.
Literatur
- Altenhofen, Cléo V. (2016): Standard und Substandard bei den Hunsrückern in Brasilien: Variation und Dachsprachenwechsel des Deutschen im Kontakt mit dem Portugiesischen. In: Lenz, A. (Hrsg.): German Abroad: Perspektiven der Variationslinguistik, Sprachkontakt- und Mehrsprachigkeitsforschung. Göttingen: V & R unipress; Vienna University Press, 103-130.
- Dreher, Martin N. (2002): Protestantismos na América Latina. In: Dreher, M. N. (Hrsg.): 500 anos de Brasil e igreja na América Meridional. Porto Alegre: EST, 115-138.
- Thun, Harald (1998): La geolingüística como lingüística variacional general (com ejemplos del Atlas lingüístico Diatópico y Diastrático del Uruguay). In: International Congress of Romance Linguistics and Philology (21. : 1995 : Palermo). Atti del XXI Congresso Internazionale di Linguistica e Filologia Romanza. Org. Giovanni Ruffino. Tübingen: Niemeyer, Bd. 5, 701-729.
- Willems, Emilio (1980): A aculturação dos alemães no Brasil: estudo antropológico dos imigrantes alemães e seus descendentes no Brasil. 2. ed., ilustr., rev. e ampl. São Paulo: Companhia Editora Nacional; [Brasília]: INL.